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Betongigant in den Alpen

Masse mit Klasse: die Schweizer Grande Dixence

 

Gewichtsstaumauer Grande Dixence

Im Süden der Schweiz liegt der Kanton Wallis. Imposante Berge wie das Matterhorn, idyllische Täler und kristallklare Bergseen prägen die Region. 17 Kilometer südlich der Kantonshauptstadt Sion, eingebettet zwischen zahlreichen schneebedeckten Gipfeln, ruht in aller Stille die Grande Dixence – ein technisches Wunderwerk menschlicher Ingenieurskunst.

Die Grand Dixence ist eine Gewichtsstaumauer. Das heißt: Im Gegensatz zu einer Bogenstaumauer, die den Druck durch das aufgestaute Wasser seitlich ableitet, hält sie das aufgestaute Wasser allein durch ihr Eigengewicht. Das erfordert eine unglaubliche Masse, um den waltenden Kräften zu widerstehen. Gewaltige 285 Meter erhebt sich der Betonkoloss in die Höhe, im unteren Teil beträgt die Breite 200 Meter. Mit diesen Ausmaßen kommt die Grande Dixence auf ein Gesamtgewicht von insgesamt 15 Millionen Tonnen. Damit ist sie schwerer als die große Cheops-Pyramide. Mit ihrem Betonvolumen ließe sich eine Mauer von 1,5 Metern Höhe und 10 Zentimetern Breite rund um die Erde bauen.

Anfänge im Kleinen

An den Enden des Val d’Hérens in 2.400 Metern Höhe hat der ehemalige Cheilongletscher das Val des Dix geformt. 1926 wurde dort die erste Dixence-Staumauer gebaut – 85 Meter Kronenhöhe. Um der steigenden Nachfrage nach Strom nachzukommen, erzeugte das Kraftwerk Chandoline 1934 erstmals Energie. In der nächsten Ausbaustufe zwischen 1947 und 1951 wurde eine weitere Staumauer am Lac de Cleuson errichtet, die das Fassungsvermögen erhöhte.

Eine eigens für den Bau dieser Staumauer installierte, rund elf Kilometer lange Transportseilbahn beförderte den Zement direkt vom Bahnhof zur Baustelle. Zylindrische Spezialkübel konnten direkt vom Gleist auf die Seilbahn umgeladen werden. Jeder einzelne dieser Kübel brachte 400 Kilogramm Zement auf die Waage! Dieses System war so erfolgreich, dass es fortan auch bei vielen anderen Baustellen von Staudämmen zum Einsatz kam.

Noch höher hinaus

1951 war die Geburtsstunde eines Megaprojekts ungeahnten Ausmaßes: Die höchste Betonstaumauer der Welt sollte errichtet werden. Die Bergleute mussten sich dafür durch den blanken Fels kämpfen – stets umgeben von Dunkelheit, Staub und Verschüttungsgefahr. Mit unermüdlichem Einsatz trieben sie 100 Kilometer Stollen in den Berg, die bis zum Fuß des Matterhorns reichen. Sie bilden das Adergeflecht, das den Stausee mit Wasser versorgt. Das Baumaterial für die Staumauer stammte aus den Moränen von Prafleuri. Allein für die Staumauer waren mehr als 1,3 Millionen Tonnen Zement notwendig. Die Betonblöcke sind 16 Meter dick und wurden so aneinandergefügt, dass sie ein außerordentliches Maß an Widerstandskraft und Dichtigkeit erfüllen.

Die Arbeitsbedingungen auf über 2.000 Meter Höhe stellten während des Baus alle Beteiligten auf eine harte Probe: Regen, Schnee und Kälte verlangten den Menschen vieles ab. Die Lawinen- und Steinschlaggefahr sowie die Bedingungen in den Stollen waren herausfordernd. Am 22. September 1961 wurde nach zehn Jahren Bauzeit schließlich der letzte Betonkübel an der Grande Dixence abgesetzt.

Von der Strömungsenergie des Wassers in elektrischen Strom

Unter den größten Anstrengungen hat der Mensch das Wasser und den Fels gezähmt. Doch die Staumauer ist nur das Äußere des riesigen Wasserkraft-Komplexes. Die große Faszination liegt verborgen im Inneren: Der Sammelhauptstollen führt das Wasser des Einzugsgebietes zusammen, das sich über insgesamt 420 Quadratkilometer erstreckt. Hier wird all das Wasser gesammelt, das zwischen den Mischabelhörnern, dem Matterhorn und dem Mont Gelé fließt. Die Wasserkraftanlagen werden durch 75 Wasserfassungen und fünf Pumpstationen mit Wasser von 35 Gletschern versorgt. Im Durchschnitt kommen so 500 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr zusammen. Drei Kraftwerke im Tal erbringen daraus eine Gesamtleistung von 2.000 Megawatt. Das entspricht einem Fünftel der in der Schweiz speicherbaren elektrischen Energie. Damit können rund 500.000 Haushalte mit nachhaltigem Strom versorgt werden.

 

Die Kraft des Wassers

Unsere Gesellschaft wird immer technologiegetriebener. Damit wächst auch der Durst auf Energie. Wasserkraft ist dabei eine der Ressourcen, mit der sich erneuerbarer Strom gewinnen lässt. Anders als bei Wind oder Sonne ist man bei ihr nicht so stark auf die Launen des Wetters angewiesen. Staumauern wie die Grande Dixence ermöglichen es, Wasser zu speichern und kontrolliert abzugeben, wenn die Niederschläge gering oder die Energieanfragen hoch sind. Wasser zu meistern heißt in dem Fall, in einer Umgebung, die kaum unwirtlicher sein könnte, die Energieversorgung von morgen zu gewährleisten – atemberaubend, faszinierend und leistungsstark zugleich.